7.07.–2.09.2012

Ich wittre Morgenluft. Düsseldorf feat. Kopenhagen

Sofie Holten, Mirror Imaga of 8house, Ørestaden, Kopenhagen, 2012,Ton, 450 x 150 x 150 cm, Foto: Ivo Faber, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012

Kunstakademie Düsseldorf und The Royal Danish Academy of Fine Arts

Von der Schönheit „schweigender Bilder“ des dänischen Malers Viljhelm Hammershøi (1864-1916) in der Hypokunsthalle München schwärmt dieser Tage die FAZ; die Kunsthalle Düsseldorf zeigt Tal R, und KIT präsentiert junge deutsche und dänische Künstlerinnen und Künstler. Ein nordischer Sommer, lichterfüllt und luftig, steht dem Kunstbetrachter bevor. Den Anstoß für „Ich wittre Morgenluft“ im KIT gab ein Brief einiger Künstler, die eine dänisch-deutsche Ausstellung vorschlugen. Sechs junge Künstler, die in Kopenhagen, Berlin und Düsseldorf, in einer immer mehr von Kunstmarkt und Diskurs bestimmten Szene zuerst sehen, malen, zeichnen, formen und sich dabei einer steten strengen Selbstprüfung unterziehen: Tamina Amadyar, Sine Hesselager Blanné, Sylvester Hegner, Sofie Holten, Allan Rand und Philip Seibel.

Was diese Schau zusammenhält, ist nicht die Struktur, in der die Künstler platziert werden, sondern vielmehr die Struktur, die erst durch ihr Zusammentreffen entsteht. Der Titel dieser Ausstellung, Ich wittre Morgenluft, ist ein Zitat aus Shakespeares Hamlet, genauer gesagt aus einer Rede, die der Geist von Hamlets Vater hält. Doch still, mich dünkt, ich wittre Morgenluft. Kurz lass mich sein. – Der Geist beeilt sich, Hamlet die Einzelheiten seiner Ermordung mitzuteilen, bevor der nahende Morgen seine Materialisierung beendet und die Verständigung zwischen ihnen unmöglich macht. Die Anrufung eines Wesens, vor Tagesanbruch zu sprechen, die Erhaltung des Raums, in dem das Angerufene sprechen kann: Dies scheint das Anliegen zu werden, das durch das Zusammentreffen dieser Arbeiten angesprochen wird.

Sine Hesselager Blanné (geb. 1986/ lebt in Kopenhagen) findet in Bibliotheken Lehrbücher, aus denen sie Darstellungen hochkopiert und dann stundenlang konzentriert und akribisch mit Tusche und Feder eine Stelle der Diagramme oder das Fragment eines Texts nachzeichnet. Während dieser Arbeit verändert sich ihr Orientierungssinn, ihr Gefühl für das Bild als Ganzes geht verloren, während die Nähe zum Detail ihre Aufmerksamkeit absorbiert. Die in dieser Methode innewohnenden Fehler bilden nach und nach ein Geflecht winziger Unvollkommenheiten, und während sich das Bild auf dem Papier entfaltet, dringt allmählich eine Fremdartigkeit durch wie Licht durch die Ränder einer geschlossenen Tür. Einige Zeichnungen werden von ihr mit einer Schicht aus transparentem, gefärbtem Papier beklebt, um den Anschein eines glänzenden Druckes zu erwecken. Für ihre skulpturalen Objekte findet Sine Hesselager Blanné Vorbilder in der Frühgeschichte: Ihr gläserner „Australite“ ist einem vor etwa 750.000 Jahren durch rasanten Flug entstandenen vulkanischen Gesteinsfetzen meteoritischen Ursprungs nachgebildet; Vorbild für die „Piacenza Liver“ ist ein aus etruskischer Zeit stammendes Bronzemodell einer Schafsleber. Die Mischung aus organischen und geometrischen Formen, die Architektur der Dinge, sowie ihre religiösen oder medizinischen Bedeutungen interessieren sie besonders.

Die Dunkelheiten in den gemalten Landschaften und Straßenszenen von Tamina Amadyar (geb. 1989/ lebt in Düsseldorf) beschwören mehrdeutige Räume herauf, die gleichzeitig spezifisch zu sein scheinen und verallgemeinert, auf die gleiche Weise, wie der Bildraum selbst einer willkürlichen – aber bedeutsamen – Teilung unterworfen ist. Solche, durch Finsternis und Nebel von der Normalität entrückten Orte kennen wir alle: nächtliche Landstraßen, einsame Waldwege, stille Bergschluchten, eine verlassene Kreuzung im Industriegebiet. Unversehens dort hingeraten geht das Gefühl von Verwurzelung abhanden, schwinden scheinbare Sicherheiten. Tamina Amadyar bringt diesen Eindruck des verdeckten Lichts sowohl in ihren mit Ölkreiden auf Leinwand gemalten Bildern als auch durch den Einsatz von Monotypie-Techniken hervor. Mit ihnen lassen sich Bilder konstruieren, bei denen das Papier oder Schichten von Untermalung in einem schwachen, unscharfen Licht durchscheinen. Dieser Rückzug des Lichts ist zugleich ein Rückzug des Bildes, und Amadyars Arbeiten spielen mit der Idee der Blindheit als etwas, das gleichzeitig verwirrend und sinnlich ist, als ein Ort, an dem sie sich gleichzeitig verliert und verortet.

An die schwebenden Düsternisse von Tamina Amadyars Bildern erinnern auch die dunkleren Passagen von Sylvester Hegners (geb. 1985/ lebt in Berlin) Gemälden. Auch sie können den Bildraum anscheinend auflösen und zugleich aufbauen. Sein „Portrait of Marquisian Girl (Repeated)“ artikuliert das Zurückweichen des Raums ebenso wie seine Verflachung und erinnert an die Wahrnehmung eines Raums, den man durch ein Kameraobjektiv betrachtet, während man versucht, trotzt schlechter Lichtverhältnisse zu fokussieren. Hegners Bilder, bei denen subtile Überlagerungen und ein anscheinend oft sehr sparsamer Farbauftrag leichte Verschiebungen von Farben und Schattierungen bewirken, zitieren alles vom Pointilismus bis zum Fotogramm. Die Farbe bildet weiche Flecken; nicht wie Pixel, sondern eher wie die chemische Körnung, die durch die enorme Ausdehnung einer fotografischen Vergrößerung sichtbar wird. Seine Fantasie scheint von Palmwedeln bevölkert zu sein, die aus sanft zersplitternden Farbfeldern winken – immer wieder tauchen der Garten und das Inselparadies auf, zerfasern zu Schatten oder verbleichen in einem weichen Auftrag von gefärbtem Licht.

Entschieden materiell sind die Objekte von Philip Seibel (geb. 1980/ lebt in Düsseldorf). Setzt man sie im Verhältnis zu den Arbeiten der anderen fünf Künstler bilden Seibels Objekte – kompromisslos, clean, bestimmt – einen Haltepunkt und eine dezidierte Unterbrechung des Stroms unbestimmter Beziehungen. Philip Seibels Werk hat das Vermögen, die Erfahrung einer Abweichung auszulösen, anstatt sie zu verkörpern. Denn obwohl sie in einer raffinierten Materialität schwelgen, die sie als deutlich abgegrenzte physische Präsenzen verortet, verleiht ihre hochglänzende Lackierung ihren ansonsten klar definierten Formen zugleich eine visuelle Glätte. Diese verführt, indem sie die Präsenz einer fest umrissenen Oberfläche verstärkt und gleichzeitig den genauen Charakter und Ort dieser Oberfläche infrage stellt. Seibels Objekte haben eindeutig eine enge Beziehung zum Design auf der einen Seite, auf der anderen Seite erinnern besonders die neuen Tafeln an die ornamental-opulenten Naturdarstellungen, wie sie im 19. Jahrhundert meisterhaft vom Zoologen und Philosophen Ernst Haeckel geschaffen wurden. Philip Seibel zeigt verunsichernde Tableaus; unsere aufgeklärten Blicke verlieren sich in Untiefen von Farbe und Lack und vage Erinnerungen werden geweckt an die Lektüre historischer Bücher, semi-wissenschaftlicher Abhandlungen oder den Seancen-Hype der Spiritisten vor 150 Jahren.

Licht, seine Reflektion im Auge des Malers, das daraus entstehende Bild – dieser Prozess scheint in Allan Rands (geb. 1983/ lebt in Düsseldorf) Gemälden körperlich zu werden: Farbpartikel drängen sich auf der Oberfläche der unbehandelten Leinwand, die zwischen den Markierungen oft sichtbar bleibt, wie ein Lichtstrom, der das Bild wiederum scheinbar von der Rückseite erhellt. Die Mimikry des Lichts durch Materie – einer der Luftströme, der diese Sammlung von Arbeiten durchzieht – scheint in Allan Rands Malerei mit besonderer Deutlichkeit aufgedeckt zu werden. Die Leichtigkeit der Geste und die Offenheit des Geflechts aus Markierungen bilden eine Struktur, die zugleich als Filter oder Leiter fungiert: eine Assemblage nicht nur aus Präsenzen, sondern auch aus Abwesenheiten, die Raum lässt für unbestimmte Existenzen von anderswo. Denn Allan Rand interessiert sich nicht nur für die Materialität und die Beziehung der Malerei zur Zeichnung, sondern auch für Aufschreibsysteme, Alphabete und illuminierte Manuskripte. Wie Lee Triming in seinem Essay über diese Ausstellung schreibt: „Während die Leinwand in Rands Bildern als stark und grundlegend, als eine alles durchdringende Basis erkennbar gemacht wird, ähnelt das Gemälde selbst einer Anordnung von Kostümen, aufgerieben und durchgewetzt, gezerrt, gezogen und durchgängig fadenscheinig, bis die Morgenluft weniger wie ein Eindringling, sondern eher wie eine Art Gerüst durch sie hindurchstreicht.“ Ein Gerüst, das für eine kurze Distanz sorgt zwischen Bild und Betrachter.

Hier vor Ort arbeitete Sofie Holten (geb. 1983/ lebt in Kopenhagen) zwei Wochen an ihren Skulpturen aus ungebranntem Ton. Sie sind Übersetzungen von architektonischen Strukturen, die sie nur aus fotografischen Dokumenten kennt. Für Ich wittre Morgenluft hat sie ein Objekt geformt, das auf einem Foto von Bjarke Ingels‘ preisgekrönten, aber halb leerstehenden Wohnkomplex 8-House bei Kopenhagen basiert. Die Vorlage wurde aus einem schrägen Blickwinkel aufgenommen und zeigt das Gebäude in der Dämmerung; es spiegelt sich in einem Swimmingpool, wodurch die schwere „V“-Form der Grundstruktur in ein dunkles, asymmetrisches „X“ transformiert wird. Sofie Holtens Interesse an Architektur gilt der im Wasser gespiegelten Fassade, die abblocken, täuschen, oder willkommen heißen kann. Mit dem Ton, den sie verwendet, der entschieden nicht-spiegelnd ist, schafft sie eine neue und eigene Struktur. Die Vertiefung in den Herstellungsprozess lässt das Foto in den Hintergrund treten: die Körperlichkeit des Materials, des Objekts, beginnt zu greifen. So erfährt das Haus eine Verwandlung, die es unserer Fantasie überlässt, das neue Objekt weiter zu bauen und es durch die Decke des KIT weiterwachsen zu lassen zu einem neuen Gebäude.

Philip Seibel, Tafel (No. 4), 2012, MDF, Furnier und Lack, 70 x 50 cm, Foto: Ivo Faber, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Allan Rand, Incunabula Primula, 2012, Öl auf Leinwand, 200 x 250 cm, Foto: Ivo Faber, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012
Sofie Holten, Mirror Imaga of 8house, Ørestaden, Kopenhagen, 2012,Ton, 450 x 150 x 150 cm, Foto: Ivo Faber, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012