28.06.–5.10.2025
Human Work – Junge Kunst aus Münster

Yedam Ann, Zauri Matikashvili, Jakob Schnetz und Rebecca Ramershoven, Jan Niklas Thape
Die Künstler*innen dieser Ausstellung haben sich mit dem Menschsein in unserem von Mensch und Technik geprägten Zeitalter auseinandergesetzt. Zeit- und Raumerfahrungen, Verdrängung und Erinnerung, Privilegien und Benachteiligungen aufgrund von Hautfarbe und Geschlecht, der Umgang mit Krankheiten und alte und neue Arbeitswelten werden mittels Fotografien, in Videos und Installationen thematisiert. Spannungen zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Produktion und Erschöpfung, Zugehörigkeit und Entfremdung werden ausgelotet und legen offen, dass unser Dasein bestimmt ist von Arbeit und diese Arbeit kein Selbstzweck ist. Mit ihr einher gehen Hierarchien und Beziehungen: Wer arbeitet für wen oder was? Arbeiten Computer für uns? Arbeitet unser Körper gegen uns? Ist die Corporation unsere neue Familie?
Yedam Ann konzentriert sich darauf, wie Menschen innerhalb architektonischer Strukturen und städtischer Umgebungen Mobilität erleben, auf Machtverhältnisse und Fragen der Zugehörigkeit. Ihr Interesse gilt dabei der veränderten Bedeutung des geografischen Ortes durch globale Telekommunikations- und Transporttechnologie: Die Ausdehnung der Räume, an denen wir uns aufhalten können, hat zu einem Wandel des Ortsgefühls geführt; physische Distanz und geographische Lage erweitern sich in die digitale Welt hinein. Im KIT konfrontiert uns die Künstlerin mit diesen Vorgängen, wenn sie uns ihre Installation „Hotel.hotel.net“ präsentiert. Die Arbeit stellt eine Zukunftsvision vor, in der Überschallflugzeuge Zeit und Distanzen radikal verkürzen – so dass Kontinente in nur 14 Minuten überquert werden können. Hotels und Flugzeuge werden hier als standardisierte, seelenlose und schnell konsumierbare Umgebungen miteinander verbunden. Daran anknüpfend spielt „Different Floors“ mit der Idee, dass die menschliche Existenz nicht mehr an einen physischen Ort gebunden ist, dass sie ausgelöscht wird, wenn der Ort verschwindet. Die Installation stellt Fragen nach dem Wert des Lebens, das nicht auf administrative Daten reduzierbar ist, und erforscht die Art und Weise, wie Individuen durch solche Systeme definiert werden.
„Nichts Corporation“ ist eine als Website präsentiere fiktive Firma, die Yedam Anns kontinuierlicher Auseinandersetzung mit dem Konzept des Nicht-Ortes sowie dessen Verbindung zu Identität, Personalisierung, dem widersprüchlichen Verlust der Individualität und der Datafizierung verbindet. Bei „A Building with Revolving Door but Only Stairs“ fungiert eine Drehtür als Portal, das den Übergang in eine andere Dimension ermöglicht. Sie dient als Metapher für die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen und sozialen Schichten. Durch die – unbeweglichen – Flügel der Drehtür hindurch projiziert Yedam Ann eine Serie von flackernden Lichtern, aufgenommen in der U-Bahn (U2) in Berlin.
Zauri Matikashvili verwendet bei seinen Filmarbeiten so wenig Technik wie möglich und übernimmt viele Aufgaben selbst, um eine größtmögliche Nähe zu den gefilmten Menschen herzustellen. Gleichzeitig hinterfragt er seine Rolle als Darsteller und Regisseur. Im KIT zeigt er zwei Werke, in denen er sehr persönliche Erfahrungen verarbeitet. Am Eingang begegnet uns „You May Not Want To Be Here “, eine Video-Installation aus Keramik, Porzellan, Erde, Metall, Holz und Fundstücken (2024-25). Sie zeigt Matikashvilis intensive, fast poetische Beschäftigung mit einem Tumor in seinem Körper: „Wie bist du so schnell gewachsen? Was hat dich genährt? Ich habe dich nicht kommen sehen – ich frage mich, was du vorhast … Vor wenigen Augenblicken warst du noch nicht da. Nichts als eine Idee, ein Code für ein anderes Werden. Und jetzt? So groß, so schnell, so wunderbar. Und stark – so, so stark!“
In „Made in Europe“, einer Filminstallation von 2023, begleitet Matikashvili seinen Vater, der seit mehr als dreißig Jahren immer wieder aus Georgien nach Deutschland oder in die Niederlande reist, um dort alte Kleintransporter zu kaufen. In diese packt er unseren Wohlstandssperrmüll, den er dann zurück nach Georgien fährt, 4.800 Kilometer alleine durch Mitteleuropa. Matikashvili zeigt uns einen Mann, der für einen bescheidenen Gewinn klaglos harte körperliche Arbeit, gesundheitliche Belastungen, Trennung von der Familie und einfachste Unterkünfte auf sich nimmt. Für den Sohn, der seit langem als Künstler in Deutschland lebt und arbeitet, haben sich die Werte gewandelt, während der Vater auf traditionelle gesellschaftliche Verpflichtungen pocht.
„Kaskaden“ ist eine Gemeinschaftsarbeit von Jakob Schnetz und Rebecca Ramershoven. Das Werk legt den Fokus auf die Verschränkung von Technologie und ästhetischer Konvention bei der fotografischen Produktion und befragt so Inhalt und Status der Bilder. Unter gleichbleibenden Bedingungen wurden drei menschliche Modelle unterschiedlicher Hautfarbe mit insgesamt 37 digitalen Apparaten fotografiert und die dabei erzeugten Rohdaten mit insgesamt 14 verschiedenen RAW-Convertern, die eine fachgerechte gesteuerte Entwicklung der Rohdaten möglich machen, zu Bildern verarbeitet. Die versuchschronologisch angeordneten Ergebnisse zeigen, wie unterschiedlich die Converter fotografische Daten interpretieren. Daraus folgt, dass digitale Bilderergebnisse keineswegs objektiv sind. „Kaskaden“ thematisiert auch die soziopolitischen Wirkungen von technischen Entscheidungen in der Signalverarbeitung, insbesondere wenn es um die Sichtbarkeit von Körpern und Hautfarben geht.
Bei den Bildern „Speicherlandschaft I und II“ von Jakob Schnetz handelt es sich um Screenshots von fehlerhaften Ladevorgängen fotografischer Bilder in einer Bildverarbeitungssoftware. Die zur Ansicht aufgerufenen Daten wurden durch einen vom Künstler herbeigeführten Prozessfehler anders interpretiert und die vorgegebene Darstellung gestört. Die auf diese Weise entstandenen, flüchtigen Abbildungen erhebt Schnetz in den Status eigenständiger neuer Bilder, die mit rätselhaften Formen, dynamischen Linien und leuchtenden Farben an abstrakte Landschaften erinnern. Der Glitch („das Verrutschte“) verweist dabei allenfalls noch informatisch auf das einst aufgerufene fotografische Original – sichtbar geworden sind neben Farbrastern auch Spuren von anderen Fotografien aus dem Zwischenspeicher des Computers, die durch die technische Panne zufällig Teil des Bildes geworden sind.
„Relikte der Zukunft“ zeigt an den Stränden Spitzbergens angeschwemmten Müll zumeist künstlichen Materials. Ca. 23.000 Teile mit einem Gesamtgewicht von 1.620 Kilogramm wurden von Freiwilligen im Zuge eines Citizen-Science-Projekts des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI ) im Zeitraum von 2016 bis 2021 aufgelesen. Die Serie von Schnetz entstand im Auftrag der ZEIT und umfasst 100 Bilder verschiedener solcher Relikte.
Bei dem Text-Bild-Dyptichon „Mimic (After Jeff Wall)“ handelt es sich um eine von einem sogenannten großen Sprachmodell (LLM) erstellte Bildbeschreibung der Fotografie „Mimic“ von Jeff Wall aus dem Jahr 1982. Anhand des von der künstlichen Intelligenz erzeugten Textes wurde anschließend mit einem Diffusionsmodell das vorliegende Bild ausgegeben, das indirekt Jeff Walls „Mimic“ nachahmt. „Mimic“ ahmte seinerzeit wiederum einen dokumentarfotografischen Stil nach, allerdings handelte es sich bei seinem Bild um eine inszenierte Rekonstruktion einer persönlichen Beobachtung.
Sind Dokumentationen objektiv, sind sie wahrhaftig? Schon die Entscheidung, wohin ein Fotograf oder Filmemacher seine Kamera stellt, welches Licht, welche Linse er wählt, ist eine subjektive und damit seine Gestaltung der Wirklichkeit. Jan Niklas Thape untersucht seit Jahren, was er, was wir sehen und für die sogenannte Realität halten. In „Untitled“ (2025) thematisiert er die Auseinandersetzung mit dem Unbehagen der deutschen Erinnerungskultur in der aufgeladenen Atmosphäre der aktuellen Antisemitismus-Debatte. Dies geschieht durch die Neukontextualisierung historischen Fernsehmaterials mit dem Versuch, einen Umgang für noch nicht gealterte zeitgenössische Aufnahmen zu finden. Wir, die Zuschauerinnen, werden in die Räume des Verhandelns einbezogen: Fühlen wir uns als passive Beobachterinnen der Vergangenheit oder stellen wir uns den unbequemen Bildern und Worten im Jetzt? Thapes aus leichtem Holz gearbeitete Installation am Ende des KIT lässt jedes Wort, jedes Bild der vier Videos umso schwerer wiegen. Seine Verantwortung der Gestaltung geht damit über die Nutzung der Bilder hinaus. So haben einige der Stühle keine Sitzflächen; auf ihnen können wir uns nicht ausruhen, können nur am Rande „Platz nehmen“ und vielleicht nachfühlen, was es heißt, nicht wirklich willkommen zu sein.
Einen weiteren Schritt zurück und damit hinter die Kameras der anderen geht Jan Niklas Thape in seiner Installation „Speakers Corner“ (2025). Die „Ecke der Redner“ im Londoner Hyde Park, in der seit 1872 jeder sprechen darf: Er war dort und ist mit seiner Kamera eingetaucht in eine Atmosphäre, in der man sich beinahe aufzulösen scheint, umgeben von den Debatten. Thape erlebte den Ort, der eine Ikone der freien Meinungsäußerung ist, als enorm dominiert von religiösen Themen. Als Betrachterinnen erleben wir den Kontrast zwischen echter Begegnung, die dort stattfindet, und dem Produzieren von Bildern durch semi-professionelle Streamer, die von einer nicht anwesenden Menschenmenge in den sozialen Medien konsumiert werden.
Kuratoren: Gertrud Peters und Johannes Raimann
Die Ausstellung wurde initiiert und gefördert von




KIT – Kunst im Tunnel, 2025
Foto: Ivo Faber

KIT – Kunst im Tunnel, 2025
Foto: Ivo Faber

KIT – Kunst im Tunnel, 2025
Foto: Ivo Faber