11.03.–11.06.2017

Malte Bruns. Tremors

Technische Apparate und Skulpturen stehen auf Tischen, von denen Kabel herabhängen. Der Raum ist in farbiges Licht getaucht.

Malte Bruns, Tremors, Installationsansicht, 2017, Foto: Ivo Faber

Technische Apparate und Skulpturen stehen auf Tischen, von denen Kabel herabhängen. Der Raum ist in farbiges Licht getaucht.
Malte Bruns, Tremors, Installationsansicht, 2017, Foto: Ivo Faber

Eröffnung: Freitag, 10. März 2017, 19 Uhr

Ein Raum, wie eine vom Alltäglichen abgeschlossene Bühne. Gedämpftes farbiges Licht, Geräusche technischer Apparate, ein leicht chemischer Geruch, beim Näherkommen sich im Licht verdichtende Gestalten und Umrisse: ein Bein, ein Arm, hängende Kopffragmente, Projektionsflächen. Formen, keine Formen. Wohin entführt uns Malte Bruns mit dieser Ausstellung, die auf den Blick des Künstlers zurück in das Zeitalter der Industriellen Revolution verweist und gleichzeitig auf seinen zukunftsorientierten Blick in das Digitale Zeitalter? Sind wir in einem anatomischen Panoptikum, in einer Monstrositätenschau, in einem Versuchslabor der Gentechnologie? Oder befinden wir uns in einem Special- Effect-Studio in Hollywood, in dem Requisiten für billig gemachte Science-Fiction- Filme entstehen? Die Making-of-Atmosphäre erinnert an Formate wie Teenage Mutant Ninja Turtles oder eben, auf den Titel der Ausstellung bezogen, an den 1990 in den USA erschienenen Film Tremors, zu Deutsch: Tremors – Im Land der Raketenwürmer. Das Werk, zum Kultfilm avanciert und im Horror-Trash- Segment angesiedelt, handelt von unterirdischen, menschenfressenden Riesenwürmern und verbindet zwei Elemente, die wesentlich sind für Malte Bruns: Körperlichkeit und Popkultur. Gleichzeitig deutet Tremors auf eine andere Auslegung hin. Denn als Tremor (lateinisch tremere „zittern“) wird in der Medizin ein unwillkürliches, sich rhythmisch wiederholendes Zusammenziehen einander entgegenwirkender Muskelgruppen bezeichnet. Eine Bewegung, die mechanisch und fehlerhaft wirkt, Kontrollverlust und Fremdbestimmtheit bedeutet und in der Ausstellung in die Motivik der Videos und ihrer Loops einfließt.
Der Besucher kann die Erschütterungen im KIT mit wissenschaftlichem Ernst betrachten oder Teil haben am humoristischen Ansatz, den Malte Bruns mit dem Bezug auf die Bad-Taste-Ästhetik von Filmen anbietet. Assoziationen mit Underground-Comics sind beabsichtigt, wenn der Künstler seine mittels Konstruktion und Dekonstruktion formierten künstlichen Lebewesen durch knallige Farbgebung noch unnatürlicher macht.

So stehen wir überlebensgroßen, blicklosen Gesichtern gegenüber, entdecken Torsi und Extremitäten, sehen Seilfasern, die wie ein Netz aus blauen Adern sichtbar unter der künstlichen Haut liegen und sie mit tiefer liegenden Schichten verbindet. Es sind Materialien aus dem Baumarkt, mit denen Malte Bruns sein eigenes manuelles Tun in Verbindung mit dem Handwerk propagiert. Damit stellt er sich demonstrativ gegen den Perfektionsanspruch in der Prothesen-Industrie, deren Zielsetzung es ist, den makellosen menschlichen Organismus abzubilden. Bewusst negiert der Künstler in seinen Arbeiten die Idealvorstellung des geschlossenen und reinen Körperbehälters. Seine Körperteile sind geöffnete, aufgeworfene, ja groteske anatomische Abbildungen. Sie schaffen Halbwahrheiten durch die fehlerhafte Wiedergabe menschlicher Physiognomien. „Es sind Rätsel, die ich gefunden habe und die man nicht lösen will“, sagt Malte Bruns zu seinen Konstruktionen und spielt an auf den Moment des Unauflösbaren, in dem etwas nicht Abgeschlossenes Spannung und Neugierde freisetzt und Reaktionen provoziert. Dafür bringt er den Körper in komische Situationen, und tatsächlich ist ein Fuß, der sich in die falsche Richtung, also gegen das Gelenk beugt, skurril. Aber gleichzeitig ist er auch beängstigend: Der Transhumanismus erlaubt das Denken über solche Möglichkeiten, Cybertechnik macht sie real. Malte Bruns’ Fuß kokettiert mit der Umsetzung: Die Mechanik ist freigelegt und gewährt Einblicke in die, je nach Standpunkt, furchterregende oder beruhigende Zukunft der Humanmedizin.
Die Angst vor dem Verfall des menschlichen Leibes und der Umgang mit den Urängsten ist seit jeher ein großes Thema in Wissenschaft und Kunst. Für den Künstler ist der eigene Körper „erstes Material“, er ist immer verfügbar, fordert Defiguration, Fragmentierung und Verdeckung geradezu heraus. Auflösung und Neuerschaffung sind bedeutende Elemente in den Werken zum Beispiel der Surrealisten. Man denke daran, wie Szenen aus Ein andalusischer Hund (1929) das Publikum entsetzten.

Marcel Duchamps Étant donnés, Hans Bellmers Puppen des Bösen und die davon inspirierten Bilder Cindy Shermans – Malte Bruns stellt sich in die Tradition von Künstlern und Literaten, die sich seit Jahrhunderten angezogen fühlen von der Künstlichkeit des „Menschleins“ (lateinisch homunculus „Menschlein“, Verkleinerungsform vom lateinischen homo „Mensch“), angefangen bei Adam, als dem ersten religiösen künstlichen Menschen, über E.T.A. Hoffmanns Olimpia in Der Sandmann, Mary Shelleys Frankenstein und andere mehr.
Das Fragmenthafte und das Unechte dieser Gestalten, das sich in der Populärkultur in Cyborgs wie den Star-Wars-Helden Darth Vader und Luke Skywalker fortsetzt – sie sind metaphorische Figuren, die keine Unterscheidung mehr zulassen zwischen Maschine und Organismus, zwischen Kunst und Natur und die, obwohl fiktiv, im kollektiven Gedächtnis der Kulturgemeinschaft fest verankert sind – bestimmen den Blick auf Malte Bruns’ Werke mit.

Die Fragilität und die Grenzen des Körpers treten hervor, aber auch seine Stärken: was er aushält, was er kann. So spiegelte die Zerstückelung von Körpern bei Hans Bellmers Puppen des Bösen auch die soziale Wirklichkeit wider, in der der Künstler lebte: die allgegenwärtigen Veteranen des Ersten Weltkriegs mit ihren Prothesen-Gliedern.
Aus dem heutigen Alltag sind sichtbare Prothesen oder Krücken so gut wie verschwunden, dafür nehmen Selbstoptimierungsprozesse einen breiten Raum ein. Das Schicksal hat ausgedient und der Körper wird endgültig vom natürlichen zum technischen Ort. Wie weit kann das gehen? Das scheint sich auch Malte Bruns zu fragen, wenn er auf Tischen, bestehend aus Gitterflächen auf Krücken- Beinen, die überkompliziert gebaut sind und sich von der puren Präsentationsfläche zum personalisierten Teil der Installation wandeln, Körperteile zur Beobachtung ausstellt. Neben einem Bein, King of Queens betitelt, in dem ein Motor surrend eine unbestimmte Funktion ausübt, finden sich Lampen und eine Tonne, in der ein Video zu sehen ist.
Es wird deutlich, dass Malte Bruns uns verführen will, die Dinge offen auszulegen. Wir sollen nicht nach Antworten und Erklärungen suchen, sondern staunen, lachen, vielleicht Ekel empfinden, das Absurde akzeptieren und dem Unfassbaren ins Auge sehen. Die Erscheinung eines Hale-Bopp – Endgegner steht der Idee des Schönen und Erhabenen so krass gegenüber, dass die Hässlichkeit dieses Kopfes peinlich sein könnte, wenn sie nicht von solch inspirierender Heiterkeit wäre. Hässlichkeit enthält immer auch etwas Positives, etwas, das uns herausreißt aus unserem heimeligen Sicherheitsgefühl und uns das vermeintlich Schöne und Perfekte neu sehen lässt. Wenn sich dann unheimliche Gefühle einstellen, tragen dazu im KIT auch die Farben bei, die Mensch und Maschine, Realität und Surrealität verschmelzen lassen zu einem Szenarium, in dem die gnadenlose „Alles gut und schön“-Ästhetik unserer Zeit für einen Moment außer Kraft gesetzt wird.

Kuratiert von Gertrud Peters