2.11.2019–26.01.2020

TAKING ROOT

Ein Mann steht in einem mit grünen Algen bewachsenen Teich und schreibt in ein Notizbuch. Um ihn herum liegen tote Bäume.

Katrina Neiburga, Pickled Long Cucumbers, Filmstill, 2018

Wie können Künstler*innen in einer Welt voller Interessenkonflikte und widersprüchlicher Glaubensvorstellungen Wurzeln schlagen? Woran orientieren sie sich? Die Ausstellung Taking Root geht diesen Fragen nach und behauptet zugleich, dass die elf hier vorgestellten Künstler*innen tatsächlich in gewisser Hinsicht verwurzelt sind: Ihre Praxis und ihre Interessen verfolgen beharrlich eine klar erkennbare Richtung, und deshalb gehen ihre Arbeiten in die Tiefe.

Ein Baum ohne Wurzeln kann nicht überleben. Er braucht festen Boden unter sich, um wachsen und aufrecht stehen zu können, um der Witterung standzuhalten und widerstandsfähig zu bleiben. Man kann sich vorstellen, dass auch Menschen an den Orten, an denen sie aufwachsen, einen gewissen »Nährwert« finden. Aber sie können auch andernorts verwurzelt sein. Künstler*innen können ihre Wurzeln auswählen, sie auf ihrem Lebensweg sammeln oder sie an Orten suchen, mit denen sie noch nicht vertraut sind. Schließlich sind Menschen mobile Wesen, und für Menschen sind Wurzeln nicht nur eine Frage der materiellen Umstände; sie können auch in Gedanken, Erinnerungen, Glaubensvorstellungen und Traditionen liegen.

Iona Inescu, Gommage, 2016, Courtesy of SpazioA, Pistoia. Im Hintergrund: Nikos Aslanidis, The Hunter, 2016-2017, Reflection, 2014-2015, Courtesy Beck & Eggeling International Fine Art, Düsseldorf/Wien; Foto: Ivo Faber

Taking Root präsentiert Werke von elf Künstler*innen. Einige von ihnen sind naturverbunden aufgewachsen, für andere war die Stadt ihre natürliche Umgebung. Einige sind junge Künstler*innen, die gerade erst anfangen, im eigenen Atelier zu arbeiten. Andere sind schon seit Jahrzehnten produktiv und hatten mehr Möglichkeiten, ihr Werk zu entwickeln. Insgesamt versammelt die Ausstellung zeitgenössische Künstler*innen aus zwei Generationen. Die meisten von ihnen kommen aus Europa, mit seinen vielfältigen Landschaften und kulturellen Klimazonen. Eine kommt aus den USA, einem Land mit europäischen Wurzeln.

In einer Zeit, in der Gott für tot erklärt oder von Terroristen entführt wurde und in der sich politische Anführer als Lügner und Hochstapler erweisen können, stellt sich die Frage: Wo findet man Auffassungen und Glaubensvorstellungen? Und darüber hinaus: Wo findet man die Zuversicht und die Kontexte, auf deren Basis man agieren kann? Eine Antwort lautet: im Inneren, in der Vorstellungskraft und im Reflexionsvermögen der Künstler*innen, ebenso wie im Rückgriff auf Traditionen, von denen sie geprägt wurden. Diese elf Künstler*innen wurden nicht unbedingt für diese Ausstellung ausgewählt, weil es in ihren Werken buchstäblich um Wurzeln geht oder weil sie Wurzeln als Motiv abbilden, sondern weil ihre Werke Wurzeln haben. Sie konnten sich in der Gegenwart verorten und durch Anknüpfungspunkte in der Natur, Religion, Kunst oder Natur Orientierung finden. Sie haben Interessen entwickelt, durch die ihr Werk an Konzentration gewonnen hat.

Béatrice Dreux, Octopussy With Rainbow, 2018, Foto: Ivo Faber

Die Künstler*innen in Taking Roots finden ihre Anregungen für gewöhnlich nicht in den Nachrichten oder in der Tagespolitik. Ihr Wissen ist weniger direkt und geht zurück auf die unterschiedlichsten Quellen: Steine, Stockfotos, Spaziergänge, Landschaften, Ikonen, Gemälde, Pflanzen, Kinder. Sie sind von vielen Situationen und Beobachtungen geleitet. Sie predigen oder illustrieren keine konkreten Glaubenssätze. Als Künstler*innen machen sie ihre Werke, indem sie ihre eigene Disziplin erforschen, sich sie vertiefen und sie weiterentwickeln – das ist Statement genug. Ihr Wissen wird in ihren Kunstwerken spürbar.

Die Kunst ist zwar nicht unbedingt ein »geheiligter Boden«, aber sie eröffnet Gebiete, auf denen eine andere – nicht korrumpierte, nicht verlassene – Welt möglich ist. Sie kann ein Umfeld herstellen, in dem man gerne Zeit verbringt, und einen Ort schaffen, der Körper, Geist und Seele nährt. Mit seinen massiven Mauern und unter der Erde gelegen, bildet KIT – Kunst im Tunnel einen geschützten Raum, um Abstand zu nehmen: von der physischen und digitalen Betriebsamkeit draußen, von der Geschäftigkeit der Großstadt und den Herausforderungen unserer Zeit. Der großzügige Raum des Tunnels mit den Werken von elf zeitgenössischen Künstler*innen ermöglicht es, eine Auszeit zu nehmen – und bietet einen Ort, um neue Verbindungen herzustellen und in die Tiefe zu gehen.

Jurriaan Benschop, aus dem Englischen übersetzt von Dr. Barbara Hess

Mit Nikos Aslanidis, Maria Capelo, Béatrice Dreux, Eiko Gröschl, Nona Inescu, Ida Lindgren, Catherine Mulligan, Katrina Neiburga, Liesbeth Piena, Natascha Schmitten, Rubica von Streng

Die Ausstellung wurde kuratiert von Jurriaan Benschop.

Gefördert durch

Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen